Wie fühlt sich wohl ein Fluss, wenn im Frühling der Schnee schmilzt und die Wassermassen sich ihren We
g talabwärts bahnen? Die unermessliche Kraft des Wassers versetzt Felsbrocken, überschwemmt das Ufer, trägt Holz und tote Tiere mit sich.
Dem Fluss bleibt nichts anderes übrig, als diese Fluten so gut wie möglich zu kanalisieren. Vielleicht ändert sich der Flusslauf durch die Kraft, neue Läufe entstehen und alte werden zurückgelassen. Das Wasser bringt eine Klärung, die unvergleichlich ist. Die frischen Massen spülen und durchlichten das abgestandene Wasser und bringen den Herzschlag der Erneuerung mit sich.
Aber oh, wehrt sich der Fluss dagegen? Fürchtet er, bereits wenn die Temperaturen steigen, die Wucht, die ihn unausweichlich treffen wird? Oder kann er es kaum erwarten, dass neue Lebendigkeit durch jede Faser seines Seins strömt? Ein Strom, der ihm Wasser schenkt für ein ganzes Jahr? Der dafür sorgt, dass auch im Sommer die Tiere davon laben und sich eine glitzernde Bewegung durch die Natur schlängelt?
Ich bin sicher, der Fluss erlebt beides, Euphorie und Panik, denn eine Kraft ausserhalb seines Einflusses formt ihn neu. Jahrhunderte lang hat er dasselbe erlebt und weiss deshalb genau, dass ihm diese Erneuerung sein Fortbestehen sichert.
Deshalb lässt er sich aufpeitschen, neu formen, vertiefen und erschüttern ohne sich zur Wehr zu setzen. Im tiefsten Wissen und Vertrauen, dass alles zu seinem höchsten Wohl geschieht.
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